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06/21/2004: "Kommentar der FAZ zum Formel 1 Rennen in Indianapolis"


Formel 1 - Indianapolis
Schwerer Crash: Ralf Schumacher kommt mit Rückenprellung davon
Von Anno Hecker, Indianapolis




21. Juni 2004 Alle fahren Autorennen, und am Ende gewinnt immer der Schumacher. Langsam scheint diese Formel Allgemeingültigkeit zu bekommen. Michael Schumacher siegte am Sonntag in Indianapolis bereits im achten von neun Saisonrennen in der Formel 1. Den spannenden und von schweren Unfällen überschatteten Großen Preis der Vereinigten Staaten gewann der Rheinländer knapp vor seinem Teamkollegen im Ferrari, Rubens Barrichello, und dem Japaner Takuma Sato im BAR.

Ralf Schumacher erlitt bei einem Crash schwere Prellungen am Rücken. Der Mönchengladbacher Nick Heidfeld (Jordan) mußte das Rennen wegen einer Panne aufgeben. Von zwanzig gestarteten Boliden erreichten nur acht das Ziel. In der Fahrerwertung führt Michael Schumacher nun mit 80 Punkten vor Barrichello (62) und dem BAR-Fahrer Jenson Button (44).

Hinterbänkler verloren Form und Fassung

Das hat man selten gesehen. Sekunden vor dem Start in die Einführungsrunde sprang Juan Pablo Montoya aus seinem Auto und rannte in die Box, um den Ersatzwagen zu nehmen. Der BMW-Williams wollte nicht so lossprinten, wie die Kollegen ein paar Minuten später, beim richtigen Start: Barrichello beschleunigte von der Pole-Position so gekonnt, daß Schumacher keine Chancen hatte, den Kollegen zu überholen. Statt dessen sicherte sich der Weltmeister mit einem vorbeugenden Schlenker nach links Rang zwei vor dem aufdringlichen Sato. Der verlor nicht nur das Sprintduell, sondern auch seinen dritten Rang an den besten Sprinter dieser Szene. Von außen schoß Fernando Alonso im Renault am Japaner vorbei auf Position drei. Beim anschließenden Gedränge in der ersten Kurve, das Feld stauchte sich beim Bremsen von Tempo 280 auf 115, verloren vier Hinterbänkler soviel Form und Fassung, daß die Rennleitung das Sicherheitsfahrzeug hinausschickte, um den Trümmersammlern Platz zu lassen.

Warten auf den nächsten Sprint. Vier Runden bereiteten sich die Piloten in aller Ruhe auf den fliegenden Start hinter dem Pace-Car vor. Als es von der Bildfläche verschwand, attackierte Schumacher. Er setzte sich auf der Zielgerade neben Barrichello, zog um eine halbe Länge am Brasilianer vorbei und gewann das nervige Spiel: Wer bremst zuerst? - Barrichello. Es war der vorerst letzte erfreuliche Moment für den großen Schumacher.

Es dauerte eine Ewigkeit, bis die Helfer eintrafen

Wenige Runden später, nach einem glimpflichen Crash von Alonso, mußte das Rennen wieder unterbrochen werden. Denn in der zehnten Runde hatte Schumachers jüngerer Bruder Ralf bei der Einfahrt in die überhöhte Kurve des Speedway-Ovals die Kontrolle über seinen BMW-Williams verloren. An dieser Stelle sind die Autos etwa 280 Kilometer pro Stunde schnell. Der Renner drehte sich und krachte rückwärts in die Betonmauer. Etwa hundert Meter weiter blieb das Wrack liegen. Schumacher wollte aussteigen, konnte aber nicht.

Es dauerte für Formel-1-Verhältnisse eine Ewigkeit, bis die ersten Helfer am Unfallort eintrafen: drei Minuten. Weitere sieben vergingen, bis der Rheinländer auf einer Trage in einen Krankenwagen gebracht und ins Streckenhospital gefahren werden konnte. Gleichzeitig umkreiste der Ferrari-Schumacher seinen verunglückten Bruder, ohne eingreifen zu können. Die ärztlichen Untersuchungen ergaben, daß der BMW-Schumacher mit Prellungen am Rücken davon kam. "Ich war geschockt, als ich das sah. Ralf war lange im Auto. Die haben mir zwar über Funk gesagt, er sei ok, aber aus der Vergangenheit wissen wir ja schon, daß das nicht immer stimmen muß", sagte Bruder Michael hinterher.

Die Ursache für den Crash liegt nach Angaben von BMW-Motorsportdirektor Mario Theissen nicht in einem Fahrfehler Ralf Schumachers. Vielmehr habe ein Schaden am linken Hinterreifen dazu geführt, daß der 28jährige die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor. Wodurch der Reifenschaden entstanden ist, konnte allerdings noch nicht geklärt werden.

Barrichello bremst mit links

Wie es Usus ist, nutzen die Teams die Unterbrechungen des Rennens für taktische Schachzüge. Ferrari holte beide Autos zum ersten Boxenstopp herein. Deshalb fiel Barrichello zwischenzeitlich auf Rang sechs noch hinter Sato, Button, Montoya und Kimi Räikkönen (McLaren-Mercedes) zurück. Wird es doch nichts mehr mit dem ersten Sieg in dieser Saison? Barrichello erfüllte diesmal seine Ankündigung. Vom ersten Training an lag der Brasilianer vor Schumacher. "Seit Saisonbeginn bremse ich jetzt auch ein bißchen mehr mit dem linken Fuß, obwohl ich eigentlich ein Rechts-Bremser bin. Ich denke ich habe mich verbessert." Die Annäherung deutete sich schon in Kanada an, wo Barrichello wegen eines schweren Fehlers beim Qualifikationstraining hinter Schumacher zurückfiel. Am Samstag dann leistete sich der Weltmeister im kurvigen Mittelteil des Formel-1-Kurses von Indianapolis kleine Fehler mit großer Wirkung. Barrichello gewann im neunten Versuch dieser Saison erstmals ein Trainingsduell gegen Schumacher: 1:8. Barrichello vorne, Schumacher dahinter, diese Konstellation war Ferraris Technischem Direktor Ross Brawn eine Sonderbemerkung wert: "Sie können frei fahren, die Strategie wird offen sein zwischen beiden Piloten."

So war es im Rennen. Aber diesmal bremsten die anderen Barrichello. Hinter Räikkönen verlor er in den ersten Runden nach der Unfallunterbrechung (19.) den Kontakt zur Spitze. 13,2 Sekunden betrug sein Rückstand, als er wieder freie Bahn hatte, als nach Sato, Button (Ausfall wegen technischem Defekt) und Räikkönen auch der letzte zwischen ihm und Schumacher - Montoya im Ersatzwagen - die Piste zum ersten Boxenstopp verlassen hatte.

Schwarze Flagge für Montoya

Zur Hälfte des Grand Prix sah es nach einem neuen Rennen zwischen Ferrari und Ferrari aus. Wie acht Tage zuvor in Kanada. Als Schumacher nach seinem zweiten Boxenstop (42.) mit etwa 90 Kilogramm Benzin beladen nur schleppend über die Runden kam, gab Barrichello Gas. Eineinhalb bis zwei Sekunden betrug der Unterschied. Die unsichtbare Annäherung bestätigte die Kritiker der Formel-1-Strategie-Spiele. Spannung muß man greifen und genießen dürfen, nicht ausrechnen müssen. Als offenbar wurde, wie eng es zuging, schien der Spaß vorbei. Barrichello schoß in der 50. Runde nach seinem Boxenstopp vielleicht zwanzig Meter hinter dem vorbeisausenden Schumacher auf die Piste zurück. Feierabend? Nicht doch.

Barrichello versuchte auf seinen frischen Reifen, den Chefpiloten endlich einmal abzulösen. Wie in Kanada jagte er Schumacher. Ausgerechnet im kurvigen Teil der Strecke suchte der Brasilianer, bekannt als Meister der Überholkunst, jede Lücke, die Schumacher bot, zu nutzen. Engagiert - aber vergeblich. Zweitbester zu sein war ihm kein großer Trost. Das ist aber immer noch besser, als nach 58 Runden harter Arbeit aus dem Rennen genommen zu werden. Montoya hätte früher ins Ersatzfahrzeug wechseln müssen. Wenigstens fünfzehn Sekunden vor der Abfahrt. Man zeigte ihm die schwarze Flagge: Ende.



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